2.12.6  Der Satz von Bolzano und Cauchy.

Der folgende Satz von Bolzano und Cauchy formuliert eines der wichtigsten Prinzipien aus der Theorie der stetigen Funktionen. Besitzt eine auf einem Intervall gegebene stetige Funktion in zwei verschiedenen Punkten Funktionswerte mit verschiedenen Vorzeichen, so muss diese Funktion die x-Achse zwischen diesen Punkten schneiden.

Theorem 2.12.20. Es sei f : [a,b] in [a,b] stetig, a < b, sowie f(a)0, f(b)0 und sgnf(a)sgnf(b). Dann existiert ein Punkt c ]a,b[ aus dem Inneren des Intervalls [a,b], so dass f(c) = 0.

Problem 2.12.21. Veranschaulichen Sie sich, dass diese Aussage ohne die Voraussetzung der Stetigkeit nicht gilt!

Lemma 2.12.22. Die Funktion f : [a,b] sei stetig im Punkt x0 [a,b] und f(x0)0. Dann erhält diese Funktion in einer genügend kleinen Umgebung von x0 ihr Vorzeichen, d.h.

δ>0xUδ(x0)[a,b]sgnf(x) = sgnf(x0).

Beweis. Wir betrachten ε mit 0 < ε < |f(x0)|. Nach der ε δ-Definition der Stetigkeit existiert ein δε > 0, so dass für alle x Uδε(x0) [a,b] gilt f(x0) ε < f(x) < f(x0) + ε. Ist f(x0) positiv, so sind wegen 0 < f(x0) ε < f(x) die Funktionswerte f(x) ebenfalls positiv. Ist hingegen f(x0) negativ, dann folgt f(x) < f(x0) + ε < 0 und f(x) ist negativ. □

Wir wenden uns nun dem Beweis von Satz 2.12.20 zu.

Beweis. Wir betrachten o.B.d.A. den Fall f(a) < 0 < f(b). Es sei E die Menge

E = {x [a,b]|f(x) < 0}.

Wegen E [a,b] ist dies eine beschränkte Menge. Weiterhin gilt a E und damit E. Nach dem Satz vom Supremum existiert damit eine Zahl c mit c = sup E.

Die Zahl b ist wegen f(b) > 0 offensichtlich eine obere Schranke von E. Nach Lemma 2.12.22 gilt zudem f(x) > 0 für x ]b δb,b] für ein geeignetes δb > 0. Für c als kleinste obere Schranke von E folgt daraus c b δb < b. Umgekehrt folgt aus f(a) < 0 auch f(x) < 0 für x [a,a + δa[ und geeignetes δa > 0. Damit ist [a,a + δa[ E. Als obere Schranke von E erfüllt c folglich a < a + δa c und damit auch c ]a,b[.

Schliesslich bleibt zu zeigen, dass f(c) = 0. Da c = sup E so existiert eine Folge von Elementen xk E mit lim kxk = c. Wegen f(xk) < 0 und der Stetigkeit von f folgt

f(c) = lim kf(xk) 0.

Es sei nun f(c) < 0. Dann ist nach Lemma 2.12.22 f(x) < 0 für x ]c δc,c + δc[ und geeignetes δc > 0, d.h. ]c δc,c + δc[ E. Damit wäre c aber keine obere Schranke von E, was zum Widerspruch führt. Also gilt f(c) = 0. □

Remark 2.12.23. Ist unter den Voraussetzungen von Satz 2.12.20 die Funktion f zudem streng monoton, so ist der Punkt c ]a,b[ mit f(c) = 0 eindeutig gegeben. Mit anderen Worten: Die Gleichung f(c) = 0 besitzt dann immer genau eine Lösung c ]a,b[.

Corollary 2.12.24. Die Funktion f : [a,b] sei stetig in [a,b]. Für zwei Punkte x1,x2 [a,b] mit x1 < x2 betrachte man die Werte

y = min{f(x1),f(x2)},y+ = max{f(x1),f(x2)}.

Dabei sei y < y+. Dann existiert für jedes ξ ]y,y+[ mindestens ein Punkt cξ ]x1,x2[ mit der Eigenschaft f(cξ) = ξ. Ist die Funktion f zudem streng monoton auf [x1,x2], so ist cξ ]x1,x2[ eindeutig bestimmt.

Beweis. Man wende Satz 2.12.20 auf die Funktion f(x) ξ = f̃(x) auf dem Intervall [x1,x2] an. □