1.10.7  Transfinite Kardinalzahlen. überabzählbare Mengen.

Definition 1.10.20. Eine Menge A heisst überabzählbar (unendlich), falls 0 < card(A).

Der folgende Satz beweist, dass es derartige Mengen tatschlich gibt.

Theorem 1.10.21. Die Menge [0, 1] = {x |0 x 1} ist überabzählbar.

Beweis. Wir stellen die reellen Zahlen x [0, 1] als unendliche Dezimalbrüche x = 0,α1α2α3 dar, wobei αk {0, 1,, 9} für k und 1 = 0, 999 Angenommen die Menge [0, 1] ist abzählbar, d.h. es gibt eine Liste aller dieser Zahlen x1 = 0,α1(1)α 2(1)α 3(1)α 4(1) x2 = 0,α1(2)α 2(2)α 3(2)α 4(2) x3 = 0,α1(3)α 2(3)α 3(3)α 4(3)

Wir betrachten y = 0,β1β2βn mit βj {0, 1,, 8}\ αj(j) für j . Dann ist y eine reelle Zahl aus dem Intervall [0, 1] aber wegen βjαj(j) kann y damit nicht in der obigen Liste vorkommen. Dies steht im Widerspruch dazu, dass diese Liste alle genannten reellen Zahlen aus [0, 1] umfasst. □

Wir bezeichnen mit 1 = card([0, 1]) die Kardinalzahl der Menge [0, 1]. So wie 0 die Mächtigkeit der abzählbaren Mengen charakterisiert, so spricht man davon , dass 1 die Mächtigkeit des Kontinuums beschreibt. Man kann zeigen, dass card() = 1 und

card([0, 1]n) = card(n) = 1

gilt. Nichtrationale reelle Zahlen bezeichnet man auch als irrationale Zahlen. Die Menge der irrationalen Zahlen \ ist zu gleichmächtig

card(\) = 1.

Problem 1.10.22. Es sei card(A) = 1 und card(B) = 0. Beweisen Sie, dass dann card(A\B) = 1.

Example 1.10.23. Für eine gegebene Menge E bezeichne P(E) die Potenzmenge von E, d.h. die Menge aller Teilmengen von E. Desweiteren bezeichne

2card(E) = card(P(E)).

Für E = {1, 2, 3} gilt11

P(E) = {,{1},{2},{3},{1, 2},{1, 3},{2, 3},{1, 2, 3}}

und damit 2card(E) = 23 = 8. Dies erklärt auch die Wahl der Notation 2card(E).

Der folgende Satz zeigt, dass es unendlich viele verschiedene transfinite Kardinalzahlen gibt:

Theorem 1.10.24. card(E) < card(P(E)) =: 2card(E).

Beweis. Man kann klar eine Bijektion x {x} zwischen E und den einelementigen Teilmengen von E konstruieren. Letztere bilden eine Teilmenge von P(E), woraus card(E) card(P(E)) folgt. Es bleibt zu zeigen, dass nicht card(E) = card(P(E)) gilt, d.h. dass es keine Bijektion zwischen E und allen Teilmengen P(E) gibt. Angenommen es existiert solch eine Bijektion ϕ : E P(E). Argumente von ϕ sind Elemente von E, Werte von ϕ sind Teilmengen von E. Wir betrachten nun die Menge

F = {x E|xϕ(x)} P(E) (1.38)

sowie das Element f = ϕ1(F) E und untersuchen, ob f zu F gehört oder nicht. Gilt f F so ist nach (1.38) fϕ(f) = F. Aus fF = ϕ(f) folgt jedoch ebenfalls wegen (1.38) f F. Damit kann weder f F noch fF gelten, was zum Widerspruch zur Existenz der Bijektion ϕ : E P(E) führt. □

11Beachte: Die leere Menge ist Teilmenge einer jeden Menge.