1.7.5  Die reellen Zahlen.

Es gibt demnach rationale Fundamentalfolgen, welche keinen rationalen Grenzwert besitzen. Bildlich gesprochen verdichten sich die Glieder dieser Folgen zu einem Punkt hin, der potenzielle Grenzwert liegt aber nicht mehr in den rationalen Zahlen, diese besitzen dort “ein Fehlstelle”.4

Die reellen Zahlen werden eingeführt, um diesem Problem Abhilfe zu schaffen. Dabei werden neue Objekte eingeführt, welche zum einen die rationalen Zahlen selbst als auch die genannten “Fehlstellen” beschreiben. Ein naheliegende Idee besteht darin, die rationalen Cauchy-Folgen selbst als solche Objekte zu betrachten.5 Allerdings tritt dann das Problem auf, dass verschiedene rationale Cauchy-Folgen gegen ein und dieselbe rationale Zahl konvergieren, diese aber nur als eine reelle Zahl verstanden werden soll.6 Wir müssen deshalb solche Fundamentalfolgen miteinander indentifizieren. Dazu dient die folgende Konstruktion:

Es sei CF() die Menge aller rationalen Fundamentalfolgen. Wir führen auf CF() folgende Relation ein:

{rn}n {sn}ndef lim n(rn sn) = 0. (1.30)

Problem 1.7.12. Zeigen Sie, da die Relation eine Äquivalenzrelation auf CF() darstellt! Zeigen Sie, dass eine rationale Cauchy-Folge {rn}n genau dann gegen q konvergiert, falls

{rn}n {q,q,}.

Definition 1.7.13. Die reellen Zahlen sind wie folgt definiert:

= CF() .

Jeder rationalen Cauchy-Folge entspricht nun eine entsprechende reelle Zahl - die dieser Folge zugehörige Äquivalenzklasse. Nach der oben formulierten Aufgaben lassen sich die rationalen Zahlen q bijektiv auf die Äquivalenzklassen der konstanten rationalen Folgen [{q,q,q,}] abbilden und damit als Teilmenge von verstehen.

Der Leser ist sicherlich mit der verbreiteten Beschreibung reeller Zahlen als unendliche Dezimalbruch

a0,a1a2a3 (1.31)
a0 ,ak {0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9},k ,

vertraut. Wenn man

rn = a0 + j=kn10ka k

setzt, so ist leicht zu sehen, dass {rn}n eine Fundamentalfolge rationaler Zahlen darstellt. Die Notation (1.31) ist dann als die zu dieser Folge zugehörige reelle Zahl zu verstehen.

Problem 1.7.14. In der Notation (1.31) sei ak = 9 für alle k n aber an9, d.h. ab der n-ten Nachkommastelle ist die Dezimalbruchzerlegung periodisch gleich 9. Zeigen sie, dass dann

a0,a1a2a3an9999 = a0,a1a2a3(an + 1)0000

gilt: Die formal unterschiedlichen Zifferdarstellungen entsprechen ein und derselben reellen Zahl.

4Mit anderen Worten: Die rationalen Zahlen sind nicht vollständig.

5Dabei kann man eine rationale Zahl q z.B. mit der Folge {q,q,q,} identifizieren.

6So konvergieren z.B. beide Folgen {n1}n und {n2}n gegen 0.